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Braunschweig: Die Extreme der Sozialarbeit – zwischen Tod und zweiter Chance! „Von außen aufgefressen“

Die Sozialarbeiterinnen vom Tagestreff in Braunschweig versuchen Menschen in Not zu helfen. Doch sie können nicht jeden retten.

Braunschweig
© Privat

Tranq - die Droge, die das Fleisch zerfrisst

In den USA sind viele Menschen abhängig von Fentanyl, einem synthetischen Opioid. Seit einiger Zeit wird die Droge mit Xylazin gestreckt, einem Medikament aus der Tiermedizin. Das Mittel wird auch Tranq genannt und ist verschäft die Drogenkrise zusätzlich. Denn es lässt Gewebe absterben, teilweise sind sogar Amputationen nötig.

Wie nah sich Tod und Leben doch manchmal sind, zeigt der Arbeitsalltag der Braunschweiger Sozialarbeiterinnen Viola Weihe und Barbara Horn. Die zwei Frauen arbeiten im Tagestreff Iglu und helfen Menschen in Krisen-Situationen.

Ob Drogen-Sucht, Obdachlosigkeit oder psychische Probleme. Das Iglu-Team greift jedem unter die Arme. Doch gegen manche Dämonen sind die Sozialarbeiterinnen aus Braunschweig einfach machtlos – und können nur noch zu sehen, wie Menschen ihr Leben verlieren.

Braunschweig: „Unter der Brücke verstorben“

„Über zwei Jahre haben wir einen jungen Wohnungslosen im Tagestreff grundversorgt“, erzählt Barbara Horn im News38-Gespräch. Die Sozialarbeiterin ist seit 2011 im Iglu in der Wilhelmstraße. Der 40 Jahre alte Mann kam aus Polen nach Deutschland. „Er war ganz nett und ruhig“, erzählt Barbara Horn weiter.

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In Braunschweig wollte der Mann Arbeit finden – doch das Ziel erreichte er nicht. Leistungen konnte der 40-Jährige auch nicht beziehen. „Dann haben die Dinge ihren Lauf genommen.“ Exzessiver Alkoholkonsum, das Leben unter einer Brücke, dazu kamen „noch irgendwelche Drogen.“

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„Er hatte dann eine Groß-Infektion der Beine“, so Horn weiter. Die Sozialarbeiterinnen haben alles versucht: „Wir haben ihm auch zum Beispiel aufgezeigt, dass ihn seine infizierten Beine töten können.“ Es folgten zwei Entgiftungen und die Behandlung der Beine im Krankenhaus. Dabei gab es aber ein Problem: „Wohnungslose werden zwar im Krankenhaus aufgenommen und behandelt, aber was ist mit der Nachversorgung? Wenn du unter der Brücke lebst, ist es mit zwei entzündeten Beinen einfach sehr schwierig.“

„Wir arbeiten mit erwachsenen Menschen“

Und auch die Sozialarbeiter kommen irgendwann an ihre Grenzen, wie Barbara Horn erklärt: „Wenn sich jemand nicht kümmert, obwohl ihm gesagt wird, dass er sterben kann, das ist dann irgendwann auch tatsächlich nicht mehr unsere Verantwortung.“ Ihre Kollegin Viola Weihe ergänzt: „Wir arbeiten mit erwachsenen Menschen und das sind die Entscheider. Wir können ihnen die sieben verschiedenen Möglichkeiten aufzeigen, die sie machen können.“ Doch zwingen könne das Tagestreff-Team niemanden.

Die etlichen Warnungen der Sozialarbeiterinnen kamen offenbar nicht an. Ein Angebot wieder nach Polen zurückzukehren, lehnte der Mann ab. „Traurig ist, dass das Leben in Deutschland unter einer Brücke schöner ist als in der Heimat“, sagt Barbara Horn. Der 40-Jährige hatte keine Kraft gegen die Sucht und die hoffnungslosen Aussichten zu kämpfen. „Er ist neulich unter der Brücke verstorben“, sagt Barbara Horn mit andächtiger Stimme.

Droge „frisst“ Menschen auf

Welche Drogen der Verstorbene genommen hat, weiß niemand. Doch Viola Weihe hat eine Vermutung: „Bei ihm glaube ich zum Beispiel, dass er vielleicht die Droge Crocodile genommen hat.“ Der Drogen-Name kommt dabei nicht von ungefähr.

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„Da sehen Hände und Füße so aus, als ob die ein Krokodil gefressen haben, weil dann nach und nach immer weiter die Knochen durchkommen“, erklärt sie weiter. „Vielleicht haben da die Standard-Medikamente der Schulmedizin gar nicht mehr geholfen, weil ihn die Droge von außen aufgefressen hat. Es ist nicht schön, was da aktuell an Drogen unterwegs ist.“

Tod und zweite Chance – Alltag für Sozialarbeiter

Es geht aber auch anders. Der Tod seiner Frau stürzte einen 60-jährigen Mann in ein tiefes Tal der Trauer. „Er musste seine Selbstständigkeit in Braunschweig nach und nach aufgeben, weil er getrunken hatte“, erinnert sich Barbara Horn. Der Witwer verlor seine Wohnung, es folgen zehn harte Jahre auf der Straße.

Das Problem: „Es gab überhaupt keine Unterlagen über seine Selbstständigkeit. Deshalb hatte er auch gar keine Leistungsansprüche.“ Im Tagestreff hing sich das Team aber rein und recherchierte. Bei der Handelskammer gab es dann einen Eintrag, dass der 60-Jährige tatsächlich selbstständig gearbeitet hatte.


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„Damit gingen wir dann zum Jobcenter und schilderten dort, dass er schon seit mehr als fünf Jahren Iglu-Besucher war und Hilfe sucht – dass er kein Einkommen hat.“ Das Engagement zahlte sich aus – und der Mann kam in den Hilfebezug.

Von da an ging es für den Obdachlosen wieder bergauf. Das Diakonie-Heim nahm ihn stationär auf: „Man sieht einfach eine unglaubliche Veränderung bei dem Mann“, so Viola Weihe. „Das Leben auf der Straße hatte ihn gezeichnet und gesundheitlich ging es ihm auch schlecht, er hatte auch unter anderem einen Herzinfarkt.“

Mittlerweile würden die Sozialarbeiterinnen ihn fast nicht mehr wieder erkennen. „Jetzt sieht er wieder jung, dynamisch und frisch aus“, so Weihe weiter. Mit großer Wahrscheinlichkeit haben die Sozialarbeiterinnen dem Mann mit ihrer Arbeit und Mühe das Leben gerettet. „Das ist eine schöne Entwicklung, was sehr lange gedauert hat.“