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Niedersachsen: Flüchtlingsrat ist fassungslos! „Wettlauf der Schäbigkeiten“

Nach dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz zur Asyl-Politik geht der Flüchtlingsrat Niedersachsen auf die Barrikaden.

Niedersachsen
© picture alliance/dpa | Peter Steffen

Scholz trotz Gipfelstreits zuversichtlich bei Asylkompromiss

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich von den Blockadeversuchen Polens und Ungarns mit Blick auf den Asylkompromiss ungerührt gezeigt. Nach Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel sagte Scholz, er hoffe darauf, dass ein entsprechendes Gesetz noch vor Ende der Legislaturperiode im Sommer 2024 verabschiedet werde.

Nach der Ministerpräsidenten-Konferenz und den neuen Beschlüssen zur Asyl-Politik in Deutschland zeigt sich der Flüchtlingsrat in Niedersachsen fassungslos.

Verstärkte Grenz-Kontrollen, gekürzte Asyl-Leistungen, Verzicht auf Familiennachzug. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen findet jetzt deutliche Worte zu den Beschlüssen. Sie reden von Schäbig- und Unmenschlichkeit.

Niedersachsen: „Legt Lunte an Pulverfass“

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert die neusten Entwicklungen in der Asyl-Politik scharf. Montagnacht (6. November) haben die Ministerpräsidenten in einer Konferenz mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) über die Handhabe in Asyl-Fragen diskutiert. Jetzt veröffentlichte Beschlüsse lassen allerdings kritische Stimmen laut werden.

Der Flüchtlingsrat nennt die Ministerpräsidentenkonferenz einen „Wettlauf der Schäbigkeiten“. Von der 2015 ausgerufenen „Willkommenskultur“ sei nicht mehr viel übrig. „In der Hoffnung, der rechtsextremen AfD Wählerstimmen abzujagen, überbieten auch die demokratischen Parteien einander in einem sich täglich weiter aufschaukelnden Wettbewerb der Abschreckung“, heißt es in einer Mitteilung.

Man wolle Geflüchteten „Schäbigkeiten“ zumuten, sie „entrechten“. Das würde auch der häufig genutzte Wortlaut der „irregulären Migration“ zeigen. Der Flüchtlingsrat findet: „Flüchtlinge sind keine ‚irregulären Migrant:innen‘: Sie nehmen ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht in Anspruch, das im Rahmen regulärer Asylverfahren geprüft wird.“ Wer gegen Flüchtlinge hetze und den Eindruck erwecke, dass Vertreibung das oberste Mittel zur Erhaltung von Staatssicherheit sei, „legt eine Lunte an ein Pulverfass.“

Mehr soziale Not und soziale Ausgrenzung

Die Beschlüsse sehen außerdem vor Asyl-Leistungen zu kürzen. Die Pläne sehen vor, dass Geflüchtete Leistungen auf Sozialhilfe-Niveau erst nach 36 Monaten bekommen sollen. Aktuell sind es noch 18 Monate. Ein Unding, wie der Flüchtlingsrat findet. „Das ist unmenschlich und unvernünftig“, heißt es weiter.

Geflüchtete mit Absicht in der Armut zu halten, werde soziale Probleme verschärfen, Ausgrenzungen vertiefen. Ein weitere Kritik-Punkt: Dadurch würde sich die Zahl der Flüchtlinge nicht reduzieren. Der Flüchtlingsrat spricht im Kontext der Leistungskürzungen auch von verfassungsrechtlichen Problemen. „Das zeugt von Empathielosigkeit und Unkenntnis der Lebensrealität geflüchteter Menschen.“

Gerade Geflüchtete bräuchten aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse psychische Betreuung. Diese Hilfe werde im Asylbewerber-Leistungsgesetz allerdings verwehrt. Die Ministerpräsidenten würden entgegen etlicher Experten-Meinungen handeln. 150 Organisationen hatten sich Anfang November gegen die Kürzungen ausgesprochen.

„Verstörend und zeugt von menschlicher Kälte“

Was die Ministerpräsidenten außerdem beschlossen haben: Das Recht auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte soll nicht wiederhergestellt werden. Das heißt: Familienangehörige von Geflüchteten, die keine Asyl-Berechtigung bekommen haben, ihnen aber im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, haben weiterhin keinen Anspruch mit ihrer Familie in Deutschland zusammengeführt zu werden.

Für den Flüchtlingsrat Niedersachsen ein Unding: „Es ist verstörend und zeugt von menschlicher Kälte, wenn Politiker:innen und Parteien, die ansonsten keine Gelegenheit auslassen, die Bedeutung der Familie für den emotionalen, sozialen und wirtschaftlichen Schutz und ein gedeihliches Zusammenleben zu betonen, den vor oder während der Flucht unfreiwillig getrennten Familien über Jahre eine Trennung von ihrem Liebsten zumuten.“


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Weiterer Kritik-Punkt: CDU- und Grüne-Länder wollen Asylverfahren zur Prüfung in Drittstaaten übertragen. Dazu machte die SPD aufmerksam, dass dabei die Genfer Flüchtlings-Konvention und die Europäischen Menschenrechts-Konventionen geachtet werden sollten. Doch so richtig daran halten, wolle man sich offenbar nicht, wie der Flüchtlingsrat scharf kritisiert. Das zeige das Festhalten am Flüchtlings-Deal mit der Türkei – die weder die Genfer Flüchtlingskonvention noch die Europäische Menschenrechts-Konvention anerkennt.

Insgesamt seien die Beschlüsse fragwürdig: Denn „nach dem Bundesverfassungsgericht hat jeder Mensch das Recht auf ein menschenwürdiges physisches, aber auch soziokulturelles Existenzminimum, das die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll.“ Deshalb stellt der Flüchtlingsrat infrage, ob die Forderungen überhaupt mit dem Verfassungsrecht vereinbar sind.